Wie ein Architekt, der die Gesetze der Natur überwunden hat, konstruiert und dekonstruiert Torben Giehler den Bildraum. Aus nicht wesentlich mehr als graden Linien und kantigen Flächen lässt er eine scheinbar unerschöpfliche Vielfalt immer neuer und überraschender Welten entstehen. Zunächst sind es ganze Städte und Landschaften, die er in seine geometrische Formensprache überführt. Er zerlegt sie in ein Raster aus Farben und Linien, reduziert die Erscheinung von Bergen, Straßen und Gebäuden auf wenige Elemente. Unverkennbar klingen in diesen frühen Bildern virtuelle Welten, wie man sie aus Computerspielen und Flugsimulatoren kennt, mit an.
In den letzten Jahren hat Giehler sich mehr und mehr von solchen Vorbildern gelöst und die ihnen eigene Ästhetik von kristalliner Klarheit und großer Dynamik in rein abstrakten Kompositionen verselbständigt. Damit hat er sich eine Bandbreite neuer Möglichkeiten eröffnet, den graphischen Einsatz von Farbe auszuloten und unser Sehen mit ungewohnten Reizen herauszufordern. Die so entstandenen Bilder können von ruhiger Schlichtheit, aber auch überwältigender Komplexität sein. Das eine Mal wird die Leinwand zu einer Ebene mit Tiefensog, in der rhythmisierte Farbfelder das Auge vom einen zum anderen Bildrand ziehen oder ungerichtete Linien es ziellos kreuz und quer jagen. Dann wieder entsteht der Eindruck eines begrenzten Raumes, in dem gegeneinander verlaufende Flächen und Linien in ihren unterschiedlichen Farben zu einem unergründlichen Verwirrspiel der Perspektiven werden oder geordnetere Elemente doch ein kohärentes Gefüge entstehen lassen, das hier und da wieder an Architektur erinnern mag.
Ob abstrahierte Landschaft oder geometrisches Spiel; steht der Betrachter vor einem Original, verlieren sämtliche Assoziationen angesichts der malerischen Qualität der Arbeiten ihre Bedeutung. Scheinen die Bilder in Reproduktionen oft glatt, gar computergeneriert, lässt Ihre physische Präsenz den handwerklichen Entstehungsprozess erkennbar werden und eine Vielzahl optischer (und haptischer) Eindrücke tut sich auf. In Giehlers Bilder kommen nur selten Pinsel zum Einsatz. Stattdessen wird die Leinwand abgeklebt und die Farbe mit Spachtel auf die freie Fläche aufgetragen, so dass die charakteristischen Linien und scharfkantigen Flächen entstehen. Wo diese sich überlagern zeichnen sich zarte Farbnuancen ab und die zusätzliche Farbschicht wird physisch nachvollziehbar. An manchen Stellen ist noch die Struktur der Leinwand zu sehen, oder Vorzeichnungen in Bleistift schimmern durch, an anderen ist die Farbe glatt und mehrere Lagen stark. Bei aller geometrischen Klarheit und Perfektion sind es – und dies ist durchaus kalkuliert - die kleinen Unreinheiten, wie Bläschen oder vereinzelte Farbkleckse, die das Bild über seine gestaltete Dynamik hinaus lebendig wirken lassen.
So malerisch die Umsetzung der Arbeiten ist, bei ihrem Entstehungsprozess kommt dem Computer eine nicht unwesentliche Rolle zu. Sobald ein Bild auf der Leinwand ein gewisses Stadium erreicht hat, fotografiert und digitalisiert Giehler es. Mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms wird nun am Rechner in die Arbeit skizziert um so herauszufinden, wie sie sich weiter entwickeln könnte. Es ist faszinierend, zu verfolgen, welche Möglichkeiten dabei durchgespielt, welche Kunstwerke angedacht und wieder verworfen werden und wie einiges von dem Ausrangierten doch auch allzu bildwürdig gewesen wäre. Viel hätte sein können, das nie mehr als eine Idee und ihr digitaler Abdruck sein wird. Es wird nachvollziehbar, welches Ringen um die richtige Fortführung sich immerzu im Kopf des Künstlers abspielt, welch zentrale Funktion der Inspiration zukommt, damit entschieden werden kann, wie es weiter gehen soll.
Doch wendet Giehler ein, dass die Skizzen am Computer nur der Orientierung dienen. Nichts ist dogmatisch, die Umsetzung des Erarbeiteten in die physische Realität kann abweichen und andere Entscheidungen erforderlich machen. Im Folgenden findet ein mehrfacher Wechsel zwischen der Arbeit an der Leinwand und der am Computer statt, bis schließlich das Werk fertig ist und am Ende der eine Phänotypen steht, der als einziger unter den Möglichkeiten des Genotyps das Licht der Welt erblickt. In einer abgeschlossenen Arbeit sind so hunderte andere angelegt. Sie ist die Quintessenz unzähliger Überlegungen und Entscheidungen. Am Computer hat Giehler eine digitale Spur dieses künstlerische Schöpfungsprozesses hinterlassen.
Giehlers Bildwelten sind so das Resultat einer einzigartigen Symbiose aus digitaler und malerischer Bildsprache. Waren computergenerierte Bildwelten zunächst inspirationsgebend, hat Giehler bald begonnen, wenige Charakteristika, wie ihre perspektivische Dynamik zu destillieren, um seine eigenen Form- und Farbvisionen weiterzuentwickeln. Beim Skizzieren am Computer ist das Bildbearbeitungsprogramm einfach ein Werkzeug, und doch nimmt die Visualisierung des sonst im Schaffensprozess nur Imaginierten wesentlichen Einfluss auf die Bildgenese. Schließlich macht die mehrfache Übertragung vom Gemalten ins Digitale und umgekehrt die enge Verflechtung der beiden Medien perfekt. Durch diese Inkorporation des Virtuellen ins Malerische hat Giehler sich die Möglichkeiten unserer technisierten Zeit dienstbar gemacht und so mit seinen Neudefinitionen dessen was Raum sein kann, dem Malen eine weitere Perspektive aufgewiesen.